
Die Geschichte der Menschen, die die Nationalsozialisten verfolgt, entrechtet, vertrieben oder ermordet haben, darf nicht vergessen oder geleugnet, sondern muss gehört werden. Jede Generation muss daraus neu lernen können. Wichtig ist eine Auseinandersetzung darüber, wie diese Verbrechen möglich wurden und wie Demokratie und unteilbare Menschenrechte erkämpft und geschützt werden können. Zu Beginn meiner Forschungen zu Topf & Söhne an der Gedenkstätte Buchenwald 2002 haben sich nur wenige Menschen dafür interessiert, wie ein renommiertes, privatwirtschaftliches Erfurter Unternehmen zum Mittäter in Auschwitz-Birkenau werden konnte. In der Stadtpolitik wollte man lange Zeit nichts von der Geschichte wissen. Inzwischen ist der von mir konzipierte und 2011 eröffnete „Erinnerungsort Topf & Söhne – Die Ofenbauer von Auschwitz“ auf dem ehemaligen Firmengelände zu einem international anerkannten Lernort geworden. Es ist für mich eine große Freude, seitdem mit Generationen von jungen engagierten Menschen als Volontär*innen, Freiwillige, Praktikant*innen und Studierende in Projekten zusammenzuarbeiten und mit dem Team einen außerschulischen Lernort geschaffen zu haben, der für tausende Schüler*innen im Jahr mehrstündige Bildungsangebote realisiert. Weil heute Rechtsextremismus, Antisemitismus und Rassismus zunehmen und viele Menschen Orientierung und Ermutigung suchen, wird dieser erstrittene Raum der historischen Aufklärung und Ermutigung zur Mitmenschlichkeit immer wichtiger.
Annegret Schüle hat den „Erinnerungsort Topf & Söhne – Die Ofenbauer von Auschwitz“ als Lernort für Mitmenschlichkeit, Respekt und Toleranz in Erfurt aufgebaut und leitet ihn seit seiner Eröffnung 2011. Der Erinnerungsort befindet sich auf dem ehemaligen Firmen-gelände von J.A. Topf & Söhne, jener Firma, die die Leichenverbrennungsöfen für das Vernichtungslager Auschwitz baute und die Gaskammern mit Lüftungstechnik ausstattete. Die Firma steht damit exemplarisch für die alltägliche Mittäterschaft im Nationalsozialismus, ohne die das Großverbrechen der Nationalsozialisten in Auschwitz-Birkenau nicht möglich gewesen wären. Dieser Lernort wird jährlich von rund 15.000 Menschen besucht, insb. von Jugendlichen, die in ganz unterschiedlichen, päda-gogischen Programmen betreut werden. Diese Programme verbinden die Aufklärung über die nationalsozialistischen Verbrechen mit einer Reflexion darüber, was jeder und jede einzelne für eine mitmenschliche und vielfältige Gesellschaft tun kann.
Annegret Schüle erforschte seit 2002 die Geschichte der Erfurter Firma Topf & Söhne und ihre Mittäterschaft in der Shoah an der Gedenkstätte Buchenwald und hat dazu Ausstellungen und Bücher mit internationaler Reichweite veröffentlicht. Sie hat als Historikerin die wissenschaftliche Grundlage für die Aufklärung über das Handeln des Unternehmens in Auschwitz-Birkenau und für den Aufbau des Erinnerungsortes Topf & Söhne – Die Ofenbauer von Auschwitz als Lernort gelegt.
In Erfurt haben sich die politischen Vertreter der Stadt lange dagegen gewehrt, die Schuld von J.A. Topf & Söhne und damit auch die Verbindung ihrer Stadt zum nationalsozialistischen Menschheitsverbrechen des Völkermordes an den europäischen Jüdinnen und Juden anzuerkennen. Annegret Schüle ist es mit vielen anderen Menschen gemeinsam gelungen, das Verschweigen und die Verharmlosung der Taten von Topf & Söhne in der Stadt Erfurt dauerhaft zu beenden Denn die ehrliche Auseinandersetzung darüber, wie die Verbrechen möglich waren und wer daran beteiligt waren, ist eine entscheidende Voraussetzung, um daraus zu lernen.
Für Annegret Schüle war die kurz nach der Eröffnung des Erinnerungsortes beginnende Zusammenarbeit mit Éva Fahidi eine große Inspiration. Wie Éva Fahidi aus ihren schmerzvollen Erfahrungen mit der Entmenschlichung und Vernichtung durch die Nationalsozialisten ihre Botschaft gegen Hass und für Empathie formulierte und lebte, das hat die Arbeit von Annegret Schüle am Erinnerungsort Topf & Söhne dauerhaft geprägt und bereichert.
Éva Fahidi schätzte an der Vermittlungsarbeit am Erinnerungsort sehr, wie dort verdeutlicht wird, wohin Ausgrenzung, Hass, Antisemitismus, Antiziganismus, Rassismus und jede Form gruppenbezogener Menschenverachtung schon einmal geführt haben und wohin sie wieder führen können. Sie hat die Arbeit von Annegret Schüle am Erinnerungsort Topf & Söhne vielfältig unterstützt. Zahlreiche Zeitzeugen-begegnungen mit Éva Fahidi, die Aufführungen des Theaterstücks „Sea Lavender“ in Erfurt, die von Éva Fahidi inspirierte Sonder- und Wanderausstellung „Un-er-setz-bar. Begegnung mit Überlebenden“, die Éva Fahidi gewidmete Ausstellung „Évas Apfelsuppe oder der Duft von Heimat“ wurden maßgeblich von Annegret Schüle und dem Team des Erinnerungsortes Topf & Söhne organisiert und haben damit die Begegnung von tausenden Menschen mit Éva Fahidi und ihrer Botschaft der Menschlichkeit ermöglicht.
Auch in Zukunft werden Ausstellungen, die Eva Fahidi-Bibliothek, vielfältige Veranstaltungen und Bildungs-programme am Erinnerungsort die Botschaft der Menschlichkeit von Éva Fahidi weitertragen. Im Rahmen der derzeitigen Erneuerung der Dauerausstellung wird die „Installation Stimmen der Überlebenden“, eine multimediale Präsentation von Videos mit Auschwitz-Überlebenden, darunter ein Video mit Éva Fahidi, geschaffen.
Seit mehreren Jahren bietet der Erinnerungsort Topf & Söhne unter Leitung von Annegret Schüle inklusive Angebote an, die von Menschen mit geistiger Beeinträchtigung mitgestaltet werden und die Menschen, die auf einfache Sprache in der Kommunikation angewiesen sind, eine Teilhabe an der Auseinandersetzung mit der Geschichte ermöglicht.
Der Erinnerungsort Topf & Söhne ist der einzige Ort in Europa, der auf einem historischen Firmengelände eines an den nationalsozialistischen Verbrechen beteiligten Unternehmens an die Mittäterschaft der Industrie am Holocaust erinnert.
Er ist in seiner Bedeutung und Reichweite international. Die von Annegret Schüle maßgeblich miterarbeitete Ausstellung „Techniker der ‚Endlösung‘. Topf & Söhne – Die Ofenbauer von Auschwitz“ wurde als Wanderausstellung in Österreich, Belgien, Norwegen, Dänemark und in einer aktualisierten Form in Polen in der Gedenkstätte Auschwitz gezeigt.
Die im Erinnerungsort jetzt gezeigte Dauerausstellung ist zweisprachig (engl./deutsch) und wird auch von internationalen Gästen besucht und geschätzt. Der Erinnerungsort hat eine umfangreiche Webseite www.topfundsoehne.de und ist auf Facebook und Instagram aktiv.